Testen ohne Ende – wie viel ist zu viel Eignungsdiagnostik?
Was die Dauer der Testverfahren für Ihre Bewerber bedeutet
In Zeiten von Bewerber- und Fachkräftemangel haben Personalverantwortliche häufig die Sorge, die wenigen qualifizierten Bewerber mit langwieriger Eignungsdiagnostik abzuschrecken. Diese Sorge beginnt schon beim Vorauswahl-Test: Viele Unternehmen glauben, dass dieser so kurz wie möglich sein sollte, damit Kandidaten motiviert bleiben und den Arbeitgeber positiv wahrnehmen. Wir erläutern, warum das Gegenteil der Fall ist.
Eine im „Journal of Personnel Psychology“ veröffentlichte experimentelle Untersuchung aus den USA (Speer, King & Grossenbacher, 2016) hat ergeben, dass sich Bewerber durch längere Testverfahren (lang = circa 80 Minuten, im Vergleich zu kurz = circa 22 Minuten) nicht abgeschreckt fühlen. Im Gegenteil: Die Teilnehmer der Studie bewerteten den Bewerbungsprozess mit längeren kognitiven Testanteilen sogar positiver als kürzere Tests.
Warum längere Tests positiver bewertet werden als kürzere
Stellen Sie sich vor, Sie müssten mit Ihrer Fußballmannschaft oder Ihrem Handballteam ein Spiel spielen, das insgesamt nur 5 Minuten dauert – und es ginge dabei um den Klassenerhalt oder den Aufstieg in eine höhere Liga. Der wahrgenommene Druck, in dieser kurzen Zeit die richtige Aufstellung und Taktik zu finden, wäre immens. Bei Bewerbern ist das nicht anders – ein Grund, weshalb längere Tests positiv bewertet werden, ist der geringer wahrgenommene Leistungsdruck und die Hoffnung darauf, bei längerer Testdauer ein insgesamt besseres Bild von sich zeichnen zu können. Auch ein Bewerbungsgespräch würde als großer Stressfaktor wahrgenommen, wenn es nur 2 Minuten dauerte – wie soll man in der kurzen Zeit von sich überzeugen?
In der Forschung ist zudem noch eine ältere Untersuchung bekannt (Rafaeli, 1999), die eine ganz andere Erklärung für die positive Bewertung längerer Testzeiten durch Bewerber bereithält. Seinerzeit wurde herausgefunden, dass mit steigender Testlänge die Investition in die Bewerbung und damit das Commitment gegenüber dem Arbeitgeber gesteigert wurde – nach dem Motto: „Jetzt habe ich schon so viel Zeit in die Bewerbung und die Auswahl investiert, jetzt wird es aber auch gut werden!“.
Ein langes Testverfahren erlaubt zuverlässige und valide Aussagen
Jedes in einem Test zu messende Merkmal erfordert eine spezifische Testdauer, damit das Merkmal zuverlässig (reliabel) erhoben werden kann und sinnvolle (valide) Berufserfolgsprognosen möglich sind. Längere Tests können somit mehrere Merkmale erfassen und tragen zur Verbesserung der Messgenauigkeit und der Gesamtprognose bei. Selbst die Bewerber nehmen dies so wahr, wie frühere Forschungsbeiträge zeigen.
Wird die Testdauer nicht durch methodische Überlegungen definiert, sondern auf ein zu enges Zeitfenster begrenzt, geht andersherum Prognosesicherheit verloren.
Egal weshalb, für die Personalpraxis ist wichtig zu wissen, dass Testlänge allein nicht maßgeblich ist für die Bewertung des Einstellungsprozesses. Bewerber nehmen sehr wohl wahr, ob Aufgaben hinsichtlich Inhalt oder Schwierigkeit angemessen für die angestrebte Position sind – deshalb sind Investitionen in attraktives und berufsrelevantes Testdesign und Aufgabenmaterial wichtig. Und wenn das passt, stört die Bewerber auch ein langer Test nicht – es kommt also nicht allein auf die Länge an.
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